Bonny & Read

*um 1697 Linsale (Irland) †unbekannt Gebiet: Irland, Mittelamerika, Karibik

*um 1690 London (England) †28.4.1721 St. Jago de la Vega (Jamaica) Gebiet: Westeuropa, Mittelamerika, Karibik

Anne Bonny und Mary Read sind die zwei einzig namentlich verbürgten Piratinnen aus der „Goldenen Zeit“ des Piratentums (ca. 1690-1725). Zunächst noch als Männer verkleidet, werden sie, dank ihres tatkräftigen Engagements und ungeheuren Mutes, bald als Frauen auf ihren Schiffen anerkannt – eine extreme Seltenheit in diesen Zeiten. Sie segeln gemeinsam in der Karibik, egal ob als Mann oder als Frau verkleidet, überfallen Schiffe und fordern Lösegelder. Während Bonny am Ende wohl eines natürlichen Todes stirbt, verendet Read in einem jamaikanischen Gefängnis.

If you fought like a man, you need not be hanged like a dog

Das Ende des 17. Jhs. bringt eine endgültige Loslösung der Piraten von ihren Heimatländern und bedeutet einen Bruch der Sitten der damaligen Zeit. Das Goldene Zeitalter der Piraterie, an dessen Höhepunkt Bonny und Read aktiv teilnehmen, ist ein Frontalangriff auf die staatliche Ordnung und das Finanzsystem, sowie (fast) alle gesellschaftlichen Konventionen wie Klasse, Rasse, Volk und Geschlecht. Von Freibeutern und Bukanieren früherer Zeiten unterscheiden sich die Piraten jener Zeit, indem sie nicht mit Kaperbriefen ihrer Heimatländer ausgestattet sind, mit denen sie „legal“ Schiffe fremder Länder überfallen können, und somit auch keine Unterstützung (Proviant, Waffen, Zuflucht etc.) von diesen erhalten. Im 16. Jh., zu Zeiten eines Francis Drake (1540-1596), geht es für die Engländer, Franzosen und Holländer noch vornehmlich darum, die Spanier, die die Neue Welt leer plündern, so gut es geht zu schwächen – in diesem Zusammenhang wird auch von einer „patriotischen Piraterie“ gesprochen. Die Holländer sind die ersten, die im 17. Jh. Stützpunkte für ihre Unternehmungen aufbauen und halten können. Danach werden sich auch Franzosen (Kuba, Taratoga) und Engländer (Jamaica) punktuell festsetzen. Die räuberischen Unternehmungen finden noch zum Großteil am Land statt. Als größter Coup jener Zeit gilt die legendäre Einnahme Panamas (1671) durch den walisischen Freibeuter Henry Morgan (um 1635-1688; von ihm ist auch bekannt, dass er in seiner ganzen Karriere kein einziges Seegefecht für sich gewinnen konnte). Als jedoch die Spanier großräumig die Lebensgrundlagen der feindlichen Kolonien durch Verbrennung der Felder und Abschlachten des Viehbestands zerstören, verlagert sich das Geschehen fast zur Gänze auf die See.

1673 schließen die verfeindeten europäischen Großmächte weitgehend Frieden und einigen sich auf die Beendigung ihrer freibeuterischen Aktivitäten. Thomas Tew (16??-1695) ist einer der ersten Piratenkapitäne, der dies nicht anerkennen will: „Better to risk your life for plunder than for government.“ Groß angelegte Kampagnen finden kreuz und quer über die Ozeane statt, die Route Karibik-Westafrika-Madagaskar-Indischer Ozean wird auch „Piratenrunde“ genannt. Entlang dieser entstehen „illegale autonome Zonen“, u.a. auf Kuba, Honduras, Jamaica, Martinique, Bermuda, Sierra Leone und Madagaskar. Die Bahamas werden bis zu ihrer Besetzung durch die Spanier 1718 zum größten illegalen Sammelbecken und Umschlagplatz. Die Piraterie ist an ihrem Höhepunkt angelangt. Einerseits, weil sie in der Neuen Welt die oft einzige Alternative zum Hungertod darstellt, andererseits aber auch durch die immer öfter stattfindenden Meutereien auf den Handelsschiffen selbst, auf denen die mit Allmacht ausgestatteten Kapitäne oft ein sadistisches Regiment führen.

Als Erkennungszeichen, im offenen Krieg gegen jeden Staat und jedes Gesetz zu stehen, setzt sich die schwarze (Totenkopf-)Flagge - „Jolly Roger“ genannt - durch. Die erste verbürgte Sichtung solch einer Flagge – samt Totenkopf und gekreuzten Knochen – wird mit 1700 datiert, als ein englisches Marineschiff erfolglos dem französischen Piratenkapitän Emannuel Wynn (Lebensdaten unbekannt) bei Kap Verde nachsetzt. Es entsteht eine eigene, transnationale, nomadische und untereinander solidarische Piratenkultur. Sie ist die wohl mit Abstand demokratischste Gesellschaftsform ihrer Zeit, eine „segelnde Republik“: die Schiffe befinden sich im kollektiven Besitz, die Beute wird annähernd zu gleich geteilt, und die wichtigen Posten, wie jene des Kapitäns oder die des Quartiermeisters, werden durch Wahlen vergeben, wobei jeder Pirat eine Stimme hat. Es gibt auch eine fixe soziale Absicherung und Pflege bei Verwundung oder Invalidität.

Die bekanntesten Piraten jener Zeit sind u.a. der wegen seiner Grausamkeit allseits gefürchtete Engländer Edward Teach aka Blackbeard (ca. 1680-1718) und der Waliser Alkoholverweigerer Bartholomew Roberts (1682-1722), dessen Gefangennahme 1722 vor der Küste des heutigen Gabun nicht nur seiner eigenen glänzenden Karriere, in der er über 400 Schiffe kapern kann (!), ein Ende setzt, sondern auch das Ende einer ganzen Ära einleitet. Ab diesem Zeitpunkt kämpfen die Piraten, von allen Seiten bedrängt und mit nur noch wenigen Rückzugsmöglichkeiten ausgestattet, weniger für ihren Profit als um das nackte Überleben. Die letzten Hochburgen, falls davon überhaupt noch die Rede sein kann, befinden sich auf Madagaskar – darunter evtl. auch die sagenumwobene „Libertatia“, eine utopische, anarchistische Piratenkommune, deren Existenz vielfach allerdings in Zweifel gezogen wird. Der letzte bekannte Piratenkapitän jener Zeit ist Oliver „La Buse“ Levasseur (1688/90-1730), der 1721 vor der Küste Indiens seine erste fette Beute (auf heutigen Stand umgerechnet ca. 12 Millionen €) einfahren kann, um schließlich die, im gemeinsamen Besitz des Bischofs von Goa und des spanischen Vizekönigs befindliche, Galeone „Nostra Senhora do Cabo“ um annähernd 120 Millionen € (!) in Gold, Silber und Diamanten zu erleichtern.



Anne Bonny ist die uneheliche Tochter des respektablen irischen Juristen William Cormac und seiner Dienstmagd. Zunächst versucht der Vater, dies geheim zu halten, kleidet Anne in Jungengewand und gibt sie als Sohn entfernter Verwandter aus. Seiner Gattin entgeht der Schwindel jedoch nicht, sie macht die Kunde öffentlich. Der gesellschaftliche Druck zwingt William Cormac, dem die Liebe zur Dienstmagd wichtiger bleibt, Irland zu verlassen – er bricht in die britischen Kolonien Nordamerikas (South Carolina) auf und wird dort ein gut angesehener Plantagenbesitzer.

Anne ist eine lebendige, interessierte Jugendliche. Sie wird als „rothaarige Schönheit“ beschrieben. Oft zieht es sie in den nahe gelegenen Hafen Charleston, einer Drehscheibe des britischen Sklavenhandels. Von Matrosen belästigt, kann sie ihnen bereits in jungen Jahren Paroli bieten. Bei so einer Gelegenheit verprügelt sie auf Anhieb gleich mehrere, wobei einer dadurch für eine Woche bettlägrig wird. In Charleston beschließt sie frühzeitig den mittellosen Seemann James Bonny zu heiraten, der dabei wohl eher auf die Besitztümer ihres Vaters als auf Anne selbst die Augen geworfen hat. Doch William Cormac denkt nicht daran, die Tochter zu unterstützen; vielmehr verstößt er sie, was sie ihm mit dem Niederbrennen seiner Plantagen heimzahlt. Gemeinsam mit ihrem Mann begibt sie sich um 1716 herum nach New Providence (heutiges Nassau) auf die Bahamas, der Piratenhochburg jener Zeit schlechthin.

James Bonny wird bald darauf als Spitzel für den britischen Gouverneur tätig. Anne hingegen schlägt auf einem Fest der Schwiegertochter des Gouverneurs die Vorderzähne aus. Sie lernt, nach reichlich wechselnden weiteren Romanzen, bei Trinkgelagen auch „Calico“ Jack Rackham (1682-1720), den Steuermann eines Piratenschiffs, kennen und brennt mit ihm durch, nachdem sie sich weigert, „wie Vieh verkauft zu werden“, als ihr Mann dies dem Piraten „Calico“ Rackham als Lösungsvorschlag unterbreitet. Anfangs kleidet sie sich als Mann, um nicht Gefahr zu laufen, von den Piraten verstoßen zu werden. Schon bald kann sie die Verkleidungen abstreifen – ihr Mut und der geschickte Umgang mit Waffen sprechen für sich. Ein weiterhin zweifelnder und unbelehrbarer Pirat wird angeblich von Anne durch einen Messerstich mitten ins Herz von seinen Zweifeln und dem irdischen Dasein befreit und über Bord geworfen. Der Kapitän des Schiffes Charles Vane (16??-1720) macht auf seine Crew, wegen seiner vermeintlichen Feigheit und der Bereitschaft, im Dienst der Britischen Krone zu stehen, keinen guten Eindruck, wird abgewählt und anschließend ausgesetzt. „Calico“ Jack Rackham wird zum neuen Kapitän gewählt. Als neuestes Mitglied kommt auf den Bahamas ein hübscher junger Mann namens Mark Read hinzu, auf den Anne sofort ein Auge wirft – es ist die als Mann verkleidete Mary Read.

Mary Read ist die Tochter eines Matrosen, der nach der ersten Fahrt nicht mehr nach Hause zurückkehrt. Sie wird von ihrer Mutter früh in die (Buben-)Kleider ihres jung verstorbenen Bruders gesteckt. Der Plot für all die späteren Verwandlungen ist hernach bald gelegt. Mit 13 arbeitet Mary Read bereits als „Laufbursche“ für eine reiche Französin, verlässt diese jedoch sehr rasch, um, ebenfalls als Junge verkleidet, auf einem englischen Kriegsschiff anzuheuern. Nach wenigen Jahren zieht es sie auf den Kontinent, sie wird, immer noch als „Mann“, Teil des Heeres von Flandern. Wegen ihrer herausragenden Tapferkeit wird sie in ein Reiterregiment befördert. Dort verliebt sie sich in den jungen Unteroffizier Max Studevend, offenbart ihm ihr Geheimnis und eröffnet nach ihrer bald darauffolgenden Hochzeit das Gasthaus „Three Horseshoes“ in der Nähe Bredas (Niederlande).

Als ihr Mann sechs Jahre später, 1716, stirbt, kleidet sie sich wieder „männlich“ und heuert auf einem holländischen Sklavenschiff mit Kurs auf die Karibik an. Das Schiff wird jedoch von den Piraten „Calico“ Jack Rackham und Anne Bonny überfallen. Mary schließt sich den Piraten an, was keine Seltenheit in dieser Zeit ist, und wird zunächst heimlich, dann jedoch auch rasch „offiziell“ als Frau zur Geliebten Rackhams. Anne Bonny hat ebenfalls ein Auge auf Mary geworfen, eine innige Beziehung ensteht. Inwieweit nun dabei auch körperliche Liebe im Spiel ist, ist durch Quellen nicht belegt, und wohl auch nicht weiter von Bedeutung. Homosexualität ist auf Schiffen jener Zeit jedenfalls keine Seltenheit, eher kann/soll dort Heterosexualität als eine der exotischeren Sexualpraktiken angesehen werden. Fest steht auf jeden Fall, dass sich beide Frauen ihre Freiheit am Schiff erstreiten, ja erkämpfen, und dass sie all dies nur dank ihres eigenen kompromisslosen Schaffens erreichen und nicht, weil dies unter den Piraten leicht möglich ist. Vielmehr kann davon gesprochen werden, dass sie es trotz der Piraten schaffen. Üblicherweise blüht in jenen Zeiten sonst eher nur die Prostitution auf, wo die Piraten sich festsetzen – so werden z.B. indigene Frauen zum Preis eines Messers gehandelt und sind allerlei Misshandlungen ausgesetzt.

Mit einem gestohlenen britischen Einmaster, den sie „Revenge“ taufen, können die beiden Frauen gemeinsam mit „Calico“ Jack Rackham sowie weiteren dazustoßenden Piraten um 1719/20 in der Karibik zahlreiche Schiffe kapern und werden rasch steckbrieflich gesucht. Beide Frauen heben sich durch enormen Kampfgeist hervor. Auch bei ihrer letztendlich rasch erfolgenden Festnahme im Oktober 1720 sind sie, gemeinsam mit nur einem weiteren Piraten, die einzigen, die sich gegen die britischen Marinesoldaten wehren, als diese die „Revenge“ bei Point Negrill (Jamaica) auf See angreifen. Der Rest der Crew ist, einen erfolgreichen Überfall auf eine goldbeladene spanische Galeone feiernd, einfach zu betrunken, um Widerstand zu leisten, was Anne und Mary dazu bringt, abwechselnd auf die Angreifer und die unter Deck befindlichen Feiglinge (denen ohnehin der Galgen droht) zu schießen Eine Stunde lang können sie den Enterversuchen trotzen, dann werden sie gefangen genommen und nach Jamaica verfrachtet.

„Calico“ Jack Rackham landet nach einem kurzen Prozess gemeinsam mit seiner Crew am 17.11.1720 am Galgen. Beim letzten Zusammentreffen mit Anne Bonny wirft sie ihm nur noch zu, dass er, wenn er wie ein Mann gekämpft hätte, nun nicht wie ein Hund hängen müsste. Mary Read ist zu diesem Zeitpunkt schwanger, somit kann das über sie ebenfalls ausgesprochene Todesurteil dem Recht nach nicht vollzogen werden. Auch Anne Bonny ist schwanger, oder gibt zumindest vor, es zu sein. Die Todesurteile werden ausgesetzt. Was danach geschieht, ist nicht zur Gänze überliefert. Mary Reed stirbt mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit im darauffolgenden Jahr im Gefängnis an einem Fieber. Anne Bonny kann entweder flüchten oder wird von ihrem, ihr in der misslichen Lage vergebenden, Vater freigekauft und stirbt einigen Angaben nach im hohen Alter im Jahr 1782 auf den Plantagen South Carolinas als Mutter von acht Kindern.


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